Maciej Moszyński (Poznań/Berlin) spürt in der April 2011-Ausgabe der Position des literarisch-gesellschaftlich-politischen Wochenblatts Głos in der publizistischen Landschaft Kongresspolens nach. Zentrales Interesse richtet sich dabei auf den Anspruch des Blattes, neue Perspektiven in die gesellschaftliche Debatte einzubringen, einem Liberalismus ebenso entgegenzutreten wie Jüdinnen und Juden zunehmend als Feind der polnischen Gesellschaft zu markieren und somit als herausgehobenes Medium in der ideologischen Verschmelzung von modernem Antisemitismus und polnischem Nationalismus zu fungieren. Nike Thurn (Trier) rückt sowohl fingierte „jüdische“ Identitäten als auch Figuren, die als „Juden“ gelesen werden, in das Erkenntnisinteresse der literaturwissenschaftlichen Antisemitismusforschung und wirft unter anderem Fragen nach deren textinternen Funktionen sowie historischen Kontexten dieses Spiels mit Identitäten, Rollen und Zuschreibungen auf.
Claudia Pawlowitsch und Alexander Kästner (Dresden) leisten einen lokal verankerten Beitrag zur historischen Suizidforschung: Sie beleuchten die gebündelten, religiös intendierten Bemühungen der jüdischen Gemeinde in Dresden gegenüber den landesherrlichen und städtischen Behörden um die schließlich erfolgte Herausgabe des Leichnams des als „Judas Pollack“ bezeichneten Juden, der sich Ende 1771 in der Dresdner Amtsfronfeste selbst tötete. In der Reihe „Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt“ erinnert Jana Mikota (Siegen) an Alice Berend. Uri Kaufmann (Heidelberg) geht dem Aufenthalt und der rituellen Reinigung jüdischer Frauen in europäischen Mikwen seit der frühen Neuzeit nach.
Karolin Oppermann (Göttingen) verweist eindrücklich auf christliche Autoren in Sulamith, die als erste jüdische Zeitschrift in deutscher Sprache und Schrift gilt und zwischen 1806 und 1843 erschien. Sie fragt zum einem nach dem Gehalt der Beiträge in Beziehung zur Programmatik der Zeitschrift und zum anderen nach der zugeschriebenen Rolle der Autoren im publizistischen Diskurs der „Verbürgerlichung“ der Jüdinnen und Juden. Hans Joachim Seiler (Kusel) entwickelt eine kleine Etymologie des hebräischen „Gürtel“. Cornelia Siebeck (Berlin) gibt Einblicke in die Geschichte der Institutionalisierung des Gedenkens an das Konzentrationslager Flossenbürg und richtet ihr Augenmerk insbesondere auf die beiden Dauerausstellungen „Konzentrationslager Flossenbürg 1938-1945“ (2007) und „was bleibt – Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg“ (2010).
Bettina Joergens (Detmold) stellt umfangreiche Tonbandaufnahmen von Interviews mit Holocaust-Überlebenden im Bestand des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen einer erweiterten Öffentlichkeit vor, Eva-Maria Thimme (Berlin) eine Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin, welche seltene Publikationen aus „Displaced Persons“-Camps der anglo-amerikanischen Besatzungszonen Nachkriegsdeutschlands umfasst.
Merit Kegel (Leipzig) führt in die für Sachsen einmaligen archivpädagogischen Ansätze des Hauptstaatsarchivs Leipzig zur Vermittlung jüdischer Geschichte ein. Matthias Heyl (Neustrelitz/Ravensbrück) prüft die DVD „Vernehmungen. Pädagogische Auseinandersetzung mit Täterinnen und Tätern im Nationalsozialismus“, welche der Trägerverein von MEDAON, HATiKVA e. V. (Dresden), Multiplikatoren zur überregional möglichen Verwendung anbietet.
Wie gewohnt werden neue wissenschaftliche Publikationen kritisch gewürdigt. Besondere Erwähnung soll an dieser Stelle die Sammelrezension von Felix Korsch (Leipzig) finden, der jüngere Beiträge zum Verhältnis der politischen Linken in Deutschland zu Antisemitismus, Israel und dem „Nahost-Konflikt“ einschätzt.
Die aktuelle Ausgabe von Medaon wäre ohne die Unterstützung von Wendy Anne Kopisch, Phillip Roth und Stefan Schwarz sowie allen Gutachterinnen und Gutachtern nicht zustande gekommen; die Korrektur besorgten Cathleen Bürgelt sowie Gunther Gebhard und Steffen Schröter von text plus form – die Redaktion dankt ihnen allen herzlich.
Die Redaktion von Medaon im April 2011
Autor(en): Redaktion Medaon,
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